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20. Februar 2022

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20. Februar 2022

LSG-Urteil v. 16.02.2022 zum Startpunktwert am 01.07.2012

Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Plagemann zum Urteil des LSG Darmstadt v. 16.02.2022 im Berufungsverfahren der KV Hessen gegen das Urteil des SG Marburg v. 05.11.2014.

Das SG Marburg hatte entsprechend unserer Forderung damals entschieden, dass die Selektivhonorare bei der Berechnung des Startpunktwertes der EHV zum 01.07.2012, als die sog. "Ruland-Reform" der GEHV in Kraft trat, berücksichtigt werden müssen und damit die EHV-Rente entsprechend zu erhöhen sei.

Dagegen hatte die KVH Berufung eingelegt, die jetzt erst vor dem LSG verhandelt wurde, nachdem das Verfahren zeitweilig ruhte, da Entscheidungen des BSG und des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden sollten, mit z.T. gleicher Thematik.

Inzwischen hatten wir neue Gesichtspunkte zum Verfahrensthema vorgetragen und unser Anwalt hatte dargelegt, dass die Urteile dieser "höheren" Gerichte, für uns im Ergebnis negativ, nicht für das LSG bindend seien, da es darin um die Honorarhöhe 2015 ging.

Prof. Dr. H. Plagemann (18.02.2022) :

"Am 16.02.2022 hat das Landessozialgericht in Darmstadt über die Berufung der KV Hessen gegen das Sie betreffende Urteil des Sozialgerichtes Marburg verhandelt. Streitig sind in diesem Verfahren die Leistungen aus der EHV ab 01.07.2012. Das SG Marburg hatte die KV verpflichtet, bei der erstmaligen Feststellung des Startpunktwertes zum 01.07.2012 auch die von den aktiven Vertragsärzten im Jahre 2010 (oder 2012) erzielten Honorare aus Selektivverträge mit zu berücksichtigen. Die KV hat im Termin erneut auf das Urteil des BSG vom Dezember 2018 verwiesen. Damals hatte das BSG über die EHV-Ansprüche ab 01.07.2015 entschieden und in der Begründung auch zum Startpunktwert ab 01.07.2012 Stellung genommen: Unter Bezug auf die von der KBV veröffentlichten Honorarberichte schätzte das BSG die im Jahre 2010 von den aktiven Vertragsärzten vereinnahmten Honorare aus Selektivverträgen mit ca. 100.000,-- € pro Quartal (ermittelt anhand der mitgeteilten „Bereinigungen“ der Gesamtvergütung). Wir haben im Termin zu Protokoll erklärt, dass in Hessen die Honorare aus Selektivverträgen im Jahre 2010 mindestens 40 Mio. € betrugen (im Folgejahr bezifferte die KV selbst die Honorare mit ca. 44 Mio. €.). Die Vertreterin der KV hat diese Erklärung „mit Nichtwissen“ bestritten. Auch dem haben wir widersprochen, da die Kassen im Rahmen der Verhandlungen über die Gesamtvergütung mit Sicherheit Honorare aus Selektivverträgen zum Zwecke der Bereinigung beziffert haben.

Nachdem unseres Erachtens eindeutigen Wortlaut des 2009 in Kraft getretenen neuen § 8 des Gesetzes über die Hessische KV (KVHG) ist die KV verpflichtet, die Honorare aus Selektivverträgen nicht nur zur Beitragsberechnung heranzuziehen (mit der Folge höherer Leistungen zu Gunsten der Aktiven), sondern auch bei der Berechnung der Leistungen. Dem widersprach die KV, auch mit dem Hinweis, die Berücksichtigung der Selektivhonorare bei der Beitragserhebung „stabilisiere“ – jedenfalls mittelbar – das Gesamtsystem der EHV, was dann auch den „Inaktiven“ zu Gute komme. Das trifft jedoch bei näherem Hinsehen nicht zu.

Dr. Burk hat in einem Schlusswort dem Senat eindringlich vor Augen geführt, wie willkürlich die KV mit dem Anspruch der EHV-Bezieher verfuhr: Erst wendet man den neuen § 8 KVHG auch zu Gunsten der EHV-Bezieher an und berechnet die Leistungen 3/2011 – 2/2012 neu, dann wird den Leistungsempfängern genau dieses Recht ab 01.07.2012 wieder genommen – ohne jede nachvollziehbare Begründung.

Das Gericht hat dennoch der Berufung der KV stattgegeben, unsere Klage insoweit endgültig abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das LSG meint, § 8 KVHG räume der KV einen „Spielraum“ ein. Es sei Sache der Vertreterversammlung, eine gerechte Lösung zu finden. Sie könne den Anspruch auf EHV-Leistungen „gestalten“. Obwohl in den Quartalen 3/2011 – 2/2012 die Honorare aus Selektivverträgen berücksichtigt wurden, bestehe dazu ab 01.07.2012 keine Rechtspflicht – auch nicht im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.

Positiv war, dass der Senat sich immerhin bemüht hat, die Widersprüche im Urteil des BSG von 2018 zu erkennen und eine eigenständige Prüfung vorzunehmen. Wir müssen nun die ausführliche Begründung abwarten, um dann zu prüfen, mit welchen Argumenten eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision begründet werden kann. Es wird sicherlich schwierig werden, den 6. Senat des BSG zu einem Umdenken in dieser Frage zu veranlassen."